fundstück II

Februar 18, 2008 by

wenn mädchen schreiben, dann kann man sich auf eine unmenge von stickern, glitzerbildchen und bitchy gezicke gefasst machen. eine anthropologisch aufschlussreiche sammlung von mädchenkorrespondenz, wie sie wohl aus dem hirn von jeffrey eugenides zu stammen scheint. eine auswahl:

brief von a. aus chemnitz (frühling 1999):
so, jetzt weiß ich gar nicht ob ich dir schon geschrieben habe was ich zu weihnachten gekriegt habe. doch, ich hab’s dir schon geschrieben. aber meine geburtstagsgeschenke nicht (30.01.85) und zwar:
jumanji-video, partyglas, inlineskater, bücher, briefpapier, 2 paar bettwäsche (eine mit delphinen und eine mit zwei kindern), pflanzen, süßes, AQUA mit doctor jones auf CD, kochbuch, duschbad, kaktus, früchtekerzen, ein lexikon, ein cooles schwarzes sweatshirt. so, daß müßte es gewesen sein
.“
brief von s. aus thingeyri, NW-island (januar 1998):

anyway i had a lot of fun at the dance and didn’t get home before seven o’clock in the morning. my friend berglind almost hit and kicked a girl, hrafnhildur, when she was tongue-ing all the boys and well i scratched her face real bad so hrafnhildur started crying and i had to follow her home well i didn’t pity her very much but i tried to be nice to her because of the crying thing i mean hrafnhildur is just 11 year old (but still a bitch).“

weiterer brief (november 1997):

well borgný is a BITCH because she acted like one and said that she was acting my best friend berglind so i really think she’s a bitch caus‘ [sic] the way she acted her was like she was trying on to the teachers or exually [actually] the meal teachers and dressing like a whore in school and like that.

great, dear s., that we know now who’s a fucking BITCH in thingeyri, iceland.

attica

Februar 18, 2008 by

umzugsbedingt wird momentan vieles vergessenes zu tage gefördert, das mal gleich auf dem müllhaufen der eigenen geschichte hätte landen sollen. etwa drei bis vier kilogramm papier liegen im müll, briefe, von einigen leuten gehen sie in die hunderte, nur ganz wenige davon sind es wert, aufgehoben zu werden. die meisten davon datiert von vor 8-10 jahren…
wie in einem mittelmäßigen coming-of-age-film läßt sich revue passieren, paneuropäischer briefwechsel in der prä-email-epoche (was für schöne briefmarken!), sowie die gesamte sexuelle entwicklung einiger damaliger „bester freundinnen“ im schnelldurchlauf wiederaufleben, geburtstage galoppieren dahin, die abwesenheit eines elternteils ist nachlesbar. ich stelle fest, mit 15 habe ich u.a. überspielte kassetten mit irgendwas schwurbel-teenie-musik nach griechenland geschickt und ich hatte auch eine intensive phase, in der ich mich nur als „arthur“ anreden ließ. die totale verdrängung.

ctrl

Februar 18, 2008 by

zurück in der kleinstadt, hatte die ehre, nach wochen endlich auch mal in den genuß von „control“ zu kommen – jaja, ian curtis, joy division, england, 1980, ihr wißt schon.
anton corbijn ist in erster linie fotograf, nicht erzähler. somit ist „control“ in auch nicht direkt ein musikfilm (subjektiv gesehen), sondern ein narzisstischer eiertanz des ian c. banale, wie aber auch essentielle fragen werden einfach mal im zuge dessen wegrationalisiert oder nicht ebenbürtig verflochten – z.b. wie herr curtis denn überhaupt seine mates trifft und die musik als ausdrucksmittel entdeckt und so. wer in so einer kleinen verschissenen sozialwohnung mit mum&dad wohnt, hat das geld für die erste gitarre – wo bitte her? vom sozialamt?
der bruch mit der welt von rockstarhausen und curtis‘ gang zum arbeitsvermittler (als the arbeitsvermittler himself) ist köstlich – nur, woher hat der junge den job? fragen über fragen. werden nicht aufgeklärt, stehen im raum für eine generation post-joy-division.
ganz sehr ärgerlich ist der part der frauen in diesem film. corbijn wants to tell a tale and they are only props to the setting. debbie, der name ist programm, blond, englisch, girly, proper. endlos tolerante liebende hausfrau mit kind an einer hand und der schmutzigen unterbuxe des northern lad und im grunde peter-pan-kindmannes ian in der anderen. debbie, die zum schweigen und entrüstet still leidende degradierte, die in vielen zweideutig-eindeutigen situationen den mund nicht aufkriegt und immer wieder zurückkommt, immer wieder am telefon wartet oder einfach nur zuhause den existentialistischen haushalt schmeißt bis der göttergatte doch noch tee will und „ins bett kommt“ (eine mama würde es nicht anders sagen). und dann dieser reve-noire in high heels und tightem dress, annick, gespielt vom a.m. lara. ihre rolle? wunderschön aussehen, dem helden die schweißnassen haare zärtlich aus dem gesicht streichen, ein bißchen die augen rollen und auf-und-zu-machen, hach ist das wieder alles intensiv hier. „ich habe angst mich in dich zu verlieben“, excuse me, wo sind wir denn? albern. am schluß viel weinen und von den mates getröstet werden, aber immer noch wunderschön aussehen, ach ja. der rest der, ähem, frauen sind fans, ganz vorne, mittwippen, pony schnippen, gut aussehen, bloß nichts sagen, aber sich dann wegen so’ner ollen umbringen.
musikalisch wird irgendwie auf „love will tears us apart“ hingearbeitet, das dann auch schön eindeutig am richtigen punkt gespielt wird, na dann, von mir aus. geradezu dämlich jedoch die schlußszene mit „atmosphere“ und einer schreienden frau, die gerade ihren ehemann erhängt in der küche gefunden hat. als ob so ein ereignis, eine solche szene nicht schon von intensiv genug wäre, nein, corbijn legt noch einen netten sülz mit dem synthie von „atmosphere“ oben drauf. als ob es nicht stille bräuchte, ist nicht alles gesagt worden, die revolution hat ihre kinder gefressen und das böse grummeln und nervöse augenzucken sind für immer verstummt. tja. aber es geht ja um die bilder, nicht wahr. die synopse reitet
abschließend auf curtis‘ liebesleben rum als ob das plötzlich zentraler wäre als die musik – also was nun, biographie oder rockoper? eher videoclip mit bewegten stills, schwarz-weiß für diejenigen, die noch nicht ganz wissen, oha, gleich wird’s richtig minimal und ernst.
nein nein, dennoch ein schöner film, ohne zweifel. jedes bild, jedes einstellung ein meisterwerk der beobachtung, der inszenierung eines durchaus mythenreichen stoffes und eines rockstar-klassikers. die musik, die dünnen und blassen gesichter des prä-heroine-chic, das nervöse und deprimierende dieser zeit, und überhaupt, manchester. traumhafte szenen, ian gelangweilt und müde vorm fernseher, mutter curtis beim sockenstopfen, ian mit den worten HATE auf den mantel geschmiert (allerbest of best!), aber eben – ian. nimm uns mit in deine autistisch-eingeschränkte welt, in der man nicht versteht, WAS denn nun wirklich zum suizid führte. love, money, fame, the everyday bit of boredom piled up as depression. he’s lost control again, aber kontrolle brauchen v.a. unsichere menschen und da schlingert der film wieder gefährlich in seinen poeto-gleisen. unschlüssig, diese geschichte, wortwörtlich.

postedit: this film will be finally remembered as depicting a time when people still smoked and they had real telephones, dude.

fundstück

Februar 17, 2008 by

„my name is S.L. and i got to know your society via internet. as i am a great enthusiast for iceland i would like to inquire you amongst others about my concern.
at the moment i am a student of a thirteenth grade at a freie waldorfschule and i am aiming to finish with school in june 2004- therefore i am already looking for an opportunity to stay abroad – preferably in iceland – after finishing school. i thought about staying as an au pair in iceland, but i would also be interested in a so-called freiwilliges soziales jahr (volunteer social year [sic]). if your society is considering inquiries such as mine, i would be very grateful if you could send me some information material about it. if this is not the case, i would appreciate you helping me with addresses (if available), internet pages and the like. thank you very much for your work in advance. yours sincerly, S.L.“
(11/11/2003)

(17/02/2008)
edit1: it’s been five years…
edit2: wunderlich wie ich durch’s englischabitur kam…
edit3: gott sei dank hat sich da niemand gemeldet, das ist ja furchtbar…“i am a great enthusiast„…for fuck’s sake…

Februar 15, 2008 by

nichtraucherschutz: ja total! ich liebe den frischen duft meiner kleidung nach kneipenbesuchen&tanzsoirées und gebe mir als smoking gun selber mühe, mehr staatlich verordnete rücksicht zu zeigen.

dennoch ist es extrem ungut, dass man nun für seine sechs züge nikotin alleine und frierend vor einer bar im prenzlauer berg stehen muss, es schummert die neonbeleuchtung über dem kopf und als zwei herren mich nach dem preis fragen, den ich gerne haben würde für meine dienste, ist das draußen-rumstehen-und-drinnen-die-nichtraucher-schützen doch echt aufs beschissenste inkongruent.

wilhelm&alexander&rollo

Februar 15, 2008 by

eine fröhliche woche mit fragen der prüfungsanmeldung. please insert your documents here. natürlich, die prüfungsordnung ist ein fels der gleichberechtigung. sie zu verbiegen kostet zeit und nerven, ein spielchen bis zum showdown, bei dem man gerne ab und zu ein bißchen idiot sein muss, um zu kriegen, was man will.
tja, wenn also der prüfungsverantwortliche himself, der einzige zudem, in der prüfungswoche krank ist (oder nicht ansprechbar im allgemeinen), dann spiegelt das natürlich auch die generelle liebevolle reziproke feindseligkeit zwischen studierenden und dem bürokratischen flügel wieder. da irrt man durch die gebäude, falsche beschriftungen hie und da, ein schüchternes nachfragen auf wirsches gebell von drinnen, wo denn der und der seinen sitz habe. jaja, studenten sind eben dumm, deswegen fragen sie ja auch so viel. irgendwann findet man dann doch das prüfungsbüro im harry-potter’esken „zwischenstockwerk“, eine kleine geheimtür irgendwo zwischen den dritten und vierten stock (bei HP gibt es den bahnsteig 8 1/4, in der HU das „zwischenstockwerk“), wo die person sitzt, die alternativ zum nicht ansprechbaren eigentlichen professor das zepter schwingt.
tja, absage, kids, beratungstermin? weiß mein institut nix von. alternativen? hamm wer nicht, stellen sie doch härteantrag, aber nein, hach, die anmeldefrist ist ja vorbei.
soweit. genau deswegen werde ich die uni als institution nie lieben und will eure blöde marketingscheiße nicht. because eventually, you make me call myself stupid.

Februar 11, 2008 by

kurz vor dem schlafentzug-overkill bleibt man dann sonntag abend an anne will und ihrer talkshow im ersten hängen.
schäuble wurde herangerollt, ein paar muselmanen mit deutschem pass und akkulturation im blut, hendryk m. broderick.
gedöns und zeit. „das brüchige vertrauen zwischen türken und deutschen“. so schallerte es aus der medienkantine. nach dem brand („die katastrophe!“) in einem wohnhaus in ludwigshafen rief es gleich „hoyerswerda und solingen“, der türkische präsident, der präsident VON DENEN, reiste an und hielt eine emotionale rede in köln.
na, da geben sich die „latente inländerfeindlichkeit“ brodericks und die „assimilation ist ein verbrechen gegen die menschlickeit“ erdogans die schmierige pfote in die hand.

latente – was bitte?? es wurde geredet von „urdeutschen“ und „passdeutschen“ und „den türken“ (genau, DIE TÜRKEN!). von der verachtung, ja dem HASS, den so eine braunhaut verspürt beim anblick eines deutschen. uah! deutschland hat geschlafen, als es einwanderungsland wurde, und deutschland hat unglaublich geschlafen, als es längst ein kultureller hybrid war, mischmenschen in sich hausen und fortpflanzen ließ. nur, so broderick, die hätten sich mühe gegeben, sich anzupassen. jawoll. der ruhrpole ist uns näher als der anatolier.

derweil ist assimilation ein verbrechen. integration ist aber keine assimilation, sie bedeutet auch: partizipation. jedoch, die bilateralität dieses unterfangens ist in bezug auf den islam und seine den deutschen michel erschaudern lassende symbolik tief in den dreck gefahren. denn hier leben menschen, die gegen brennende häuser UND den bau von moscheen sein können. für freunde der semantik unter uns möchte ich auf die dimension dieser feindlichkeit hinweisen, die man erhält, wenn man z.b. das wort „moschee“ mit „synagoge“ ersetzen würde. hui hui, da gäbe es aber einen aufschrei in der mittelschicht.
so what?

doch keine türkischsprachigen schulen? keine kopftücher? (aber kreuze als schmuck?)
keine moschee, lieber hinterhof? hendryk m. broderick, retter des mißverstandenen und geächteten inländers?
dieses land schlägt in seiner steißgeburt als migrantischer lebensraum hohe wellen.

Februar 9, 2008 by

ende januar las vladimir sorokin aus seinem nun auch auf deutsch erschienenen buch „der tag des opritschniks“ u.a. in berlin-wannsee. feines folk auf dem weg zum ihm, altersschnitt 37+. eine schlechte musik leitete seine ankunft ein: sorokin, schlicht, ergraut, wieseläugig, schwebt herein, anbei eine dolmetscherin und ein übersetzer.
2 stunden liest sorokin, singt sorokin (bylina!), sorokin lacht, klatscht, und gibt ordentliche, verwertbare statements zum zustand russlands.
einmal auge in auge mit einem geheimen spätadoleszenten helden.
und doch ist das publikum ein bißchen wie die täubchen, die die kleinen brotkrumen der wahrheit aufpicken. hacken sich in ihrem demokratieverständnis fast die äuglein aus und ersticken an ihrem kropf von sellbstvergessenheit. jaja, das ist alles satire.

peace tower, my ass

Januar 25, 2008 by

„Ono explained that the [peace] tower came to Reykjavík partly because she did not want it powered by fossil fuels and also because, ‘Iceland is in the north, and in mythology the north is where the power and wisdom comes from and we can spread the power downward.’”

Dear Yoko, go out with me on Saturday night, on Laugavegur/Baronstígur/Leikjatorg and I hope we’ll find that awesome northern “power and wisdom” in the empty buckets of garlic sauce in the best kebap house in town, let’s spread it like art all over the trays and tables and floors. Otherwise I’ll drag you over to SUBWAY’s best homemade finja-northern-mythology, sponsored proudly by Thór&Freya.

homework

Januar 25, 2008 by

„Die Rolle des Dolmetschers und Anwalts scheint bis zu einem gewissen Grad unausweichlich, weil Ethnographie in der Tat nicht nur Beobachtung, sondern immer auch Beschreibung des Anderen im wörtlichen Sinne meint: dessen textliche und bildliche Darstellung, Vermittlung und Verbreitung im Sinne einer stellvertretenden Repräsentation, in der man ihn in seinem vorgegebenen Interpretationsrahmen bestenfalls ‚sprechen lässt’. […]
Dem Verstehensversuch muss offenbar ein Versuch des Begreifens vorausgehen, der den Betrachtungsgegenstand ‚objektiviert’. Erst dann kann dessen Subjektivität in Beziehung zur eigenen gesetzt, in differenzierte Bilder aufgelöst und in ‚verstehende’ Begriffen erklärt werden.
Das klingt ein wenig nach der ungeklärten Geschichte von der Henne und dem Ei, doch ist es hier eindeutig die Henne Wissenschaft, die vor dem Ei Forschungsgegenstand gackert.“

Michel Leiris:

„Trotz aller Unterschiede in Hautfarbe und Kultur beobachten wir, bei einer ethnographischen Untersuchung, immer unsere Nächsten, und wir können ihnen gegenüber nicht die gleiche unberührte Haltung einnehmen wie z.B. der Insektenforscher, der voller Neugierde sich bekämpfende oder gegenseitig auffressende Insekten betrachtet.“

(Wolfgang Kaschuba: Einführung in die Europäische Ethnologie: C.H. Beck München 1999)